Der Altar und sein aussagekräftiges Bild
Im Mittelpunkt des Ostchors steht heute ein neugotischer, fein geschnitzter Altar von 1898. Der Memminger Kunstschreiner Wilhelm Vogt hat in seiner Mitte eine Skulptur des segnenden Christus platziert, rechts davon die Taufe Christi, links eine Trauszene.
Das erzählende Herzstück des Altars ist Lucas Cranachs Gemälde „Christus segnet die Kinder“ (1534/40), 1762 posthum gestiftet von Leonhard Daniel Sulzer. Es interpretiert eine Stelle aus dem Markusevangelium (Mk. 10) mit der zentralen Aussage „Lasset die Kinder zu mir kommen“. Das Motiv war weit verbreitet und damit den protestantischen Gläubigen bekannt und präsent. Es steht für die lutherische Glaubenshaltung, vor allem für den unmittelbaren kindlichen Glauben, der allein zur Erlösung führt. Andere Deutungen sehen darin die lutherische Aufforderung gespiegelt, in deutscher Sprache zu taufen, damit die Paten und Umstehenden das Vorgehen verstehen und mit Verstand für den Täufling beten können. Eine weitere Interpretation erkennt in dem Bildmotiv die lutherische Gegenposition zu den Wiedertäufern, die nur die Erwachsenentaufe zuließen.
Bilder als Schule
Die Künstler Lucas Cranach, Jörg Breu d. Ä. und Abraham del Hel waren Anhänger der Reformation und unterstützten mit ihren Werken deren Ausbreitung. Dennoch wurden sie auch von Altgläubigen beauftragt. Im Bildprogramm des Ostchors sind ihre Werke enthalten. Das Bildprogramm folgt einem klaren evangelischen Auftrag, es ist eine Schule des Glaubens. Die Motive zeigen keine Heiligenlegenden, sondern erzählen biblische Geschichten, in deren Mittelpunkt oft Jesus selbst steht.
Reformation mit dem Pinsel: Die Cranachbilder
Martin Luther, Lucas Cranach, Werkstatt, 1529 oder später
Das Luther-Porträt hing nach einer Quelle von 1788 eine Zeit lang „über den Sitzen der Ratsherren“ in der Kirche. Die Absicht dieser Platzierung war wohl, den Ratsherren die Tradition der guten christlichen Regierung nahezulegen. Das Bildnis erinnert an Luthers Aufenthalt 1518 in Augsburg, als er vom päpstlichen Gesandten Cajetan gedrängt wurde, seine Thesen zu widerrufen – was bekanntlich nicht geschah. Und so lautet das Wort des Propheten am oberen Bildrand übersetzt: „In der Stille und in der Hoffnung wird eure Stärke liegen“ (Jes. 30,15).
Johann Friedrich der Großmütige, Kurfürst von Sachsen, Lucas Cranach, Werkstatt, 1532
Die Porträts von Luther und dem Kurfürsten kamen 1722 zusammen als Stiftung von Marx Abraham Jenisch nach St. Anna. Wie das Luther-Porträt hing auch das Bildnis des Kurfürsten „ob den Stühlen des Herren Stadtpflegers und der Herrn Geheimen“. Kurfürst Johann Friedrich vertrat als Mitglied im Schmalkaldischen Bund die evangelische Sache. Als die Katholische Liga unter Kaiser Karl V. im Jahr 1547 die entscheidende Schlacht gegen den Bund gewann, wurde Johann Friedrich zur Gefangenschaft verurteilt und musste dem Kaiser auf seinen Reisen folgen. Während des Augsburger Reichstags 1550/51 war er deshalb als Karls Gefangener in der Stadt. Lucas Cranach, der viel für Johann Friedrich arbeitete, folgte ihm nach Augsburg und soll ihn dort porträtiert haben.
Christus in der Vorhölle, Jörg Breu d. Ä. um 1534
Dieses späte Werk von Breu (1475-1537) stammt von einem Epitaph für altgläubige Auftraggeber – das Ehepaar Conrad Meiting und Barbara Fugger, eine Schwester Jakob Fuggers. Das Gemälde gibt Hinweise auf Breus offen geäußerte lutherische Haltung, der Glaube des Malers spielte für die Auftraggeber also wohl keine Rolle. Die Szene zeigt Christus, wie er die Seelen aus der Vorhölle rettet. Die Teufel müssen weichen, Christus besiegt den Tod. Breu hat sich in der Szene selbst abgebildet. Oberhalb von Christus‘ rechter Armbeuge blickt er offen und direkt aus dem Bild heraus. Seine unmittelbare Nähe zu Christus wird als vertrauensvolles Bekenntnis des Malers zu seinem Erlöser interpretiert.
Die Hölle ist, von Gott getrennt zu sein. So lässt sich Jörg Breus Darstellung auch verstehen. Zur Überwindung dieser Trennung geben Luther und auch das Augsburger Bekenntnis eine andere Antwort als der alte Glaube. Während etwa Jakob Fugger 1525 in seinem Testament ausführt „Almosen geben, Messe lesen und andere gute Werke“ seien zur Erlösung hilfreich, steht in Artikel 4 des Augsburger Bekenntnisses von 1530 „… dass wir Vergebung der Sünde bekommen (…) aus Gnade um Christi willen durch den Glauben.“ Auf die zentrale Frage, wie ein Leben in Gottes Ewigkeit zu erreichen sei, haben 1999 die Katholische Kirche und der Lutherische Weltbund eine gemeinsame Antwort gefunden. In ihrer Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung heißt es „Allein aus der Gnade Christi, nicht aufgrund unseres Verdienstes werden wir von Gott angenommen und empfangen.“
Maria mit Christus und dem Johannesknaben, Umkreis Lucas Cranach, zweite Hälfte 16. Jahrhundert
Das Thema des von Christian von Stetten (1679-1732) gestifteten Gemäldes ist die Gnade des kindlich-reinen Glaubens. Auch Martin Luther besaß eine Madonna mit Kind, die er laut eigener Aussage gerne betrachtete.
Speisung der 5000, Johann Freyberger (1571-1632)
In der biblischen Geschichte von der Brotvermehrung kümmert sich Jesus um das Volk, das ihm nachzieht, um seine Lehren zu hören. Als Nahrung für die vielen Menschen können die Jünger nur fünf Brote und zwei Fische finden. Jesus lässt die wenigen Speisen verteilen und es werden 5000 Menschen davon satt.
Die klugen und die törichten Jungfrauen, Christoph Amberger
Im Mittelalter war die von Amberger (ca.1505-1561/62) dargestellte Geschichte (Mt. 25,1 -13) ein beliebtes Gleichnis für das Jüngste Gericht. Sie hat aber auch heute noch viel zu sagen. Zehn Jungfrauen ziehen dem Bräutigam entgegen, den sie in der Nacht erwarten. Die fünf klugen Jungfrauen nehmen genug Öl für ihre Lampen mit. Die fünf törichten Jungfrauen haben zwar Lampen dabei, aber kein Öl. Sie müssen noch einmal umkehren, um welches zu holen. So kommen sie zu spät zur Hochzeit und werden abgewiesen.
Mit dem Gleichnis sind die Menschen gemeint, die das Reich Gottes erwarten. Wie die klugen Jungfrauen soll man jederzeit aufmerksam sein und bewusst im Glauben leben, vorbereitet auf die Ankunft des Herrn. Mit dieser Mahnung schließt auch das Gleichnis: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Auferstehung Christi, Jörg Breu d. Ä., um 1525
Ähnlich wie bei „Christus in der Vorhölle“ drückt Breu auch mit dem Auferstehungs-Motiv evangelisches Bildverständnis aus. Es fordert keinen „Götzendienst“, keine Anbetung eines Bildes, sondern ist Sinnbild für ein Thema. Über dem Grab ist der auferstandene Christus zu sehen, wie er von Engeln umgeben über den Tod triumphiert. Links und rechts davon sind Stationen seines Lebens abgebildet. Das Motiv weist auf das göttliche Handeln unter den Menschen hin. Der Betrachter soll die Auferstehung als etwas radikal Neues erleben, das menschlicher Verstand nicht erfassen kann.